Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 23.9.2012
Alle reden von der Staatsschuldenkrise. Doch deren Verschärfung ist eine Folge der Finanzkrise von 2008. Staaten mussten weltweit Banken retten, private Schulden übernehmen und Konjunkturen stabilisieren. Sie haben dabei direkt oder indirekt auch viele private Vermögen gerettet. Jetzt explodieren die Schulden der Staaten. Unter der angeblichen Sparkanzlerin Merkel ist die Staatsverschuldung in Deutschland von 1.643 Mrd. € (66,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) im Jahr 2008 auf 2.088 Mrd. € (81,2 Prozent des BIP) in 2011 gestiegen. Wir verwenden heute 11,1 Prozent des Bundeshaushaltes auf Zinsen, im Jahr 2011 waren das 32,8 Milliarden. Euro. Dass für diese Schulden bezahlt wird ist sicher, nur wer soll es tun? Die Bundesregierung und die Kanzlerin persönlich sperren sich gegen die Einsicht, dass die steigenden Vermögen wohlhabender Privatbürger dabei eine Rolle spielen müssen.
Meine Fraktion schlägt eine zum Schuldenabbau zweckgebundene Vermögensabgabe vor. Der Grundgedanke ist einfach. Eine kleine Gruppe von sehr Wohlhabenden soll einen fairen Anteil dazu beitragen, diese Schuldenkrise zu bewältigen. Die grüne Vermögensabgabe zielt auf Nettovermögen über einer Million Euro, betrifft weniger als 1 Prozent der Bevölkerung, und wird zur Tilgung der Kosten der Finanzkrise verwendet. Würde man sie zehn Jahre lang bei einem jährlichen Abgabesatz von 1,5 % erheben, könnte man auf über 100 Milliarden Euro Einnahmen kommen. Es gibt bei individueller Veranlagung einen persönlichen Freibetrag von einer Million Euro plus 250.000 Euro pro Kind. Unternehmen sind nicht abgabepflichtig, für Betriebsvermögen gibt es einen Freibetrag von Fünf Millionen Euro.
Im besitzbürgerlichen Lager hat sich in den letzten Jahren ein Geist verbreitet, der Eingriffe des Staates in „die Taschen der Bürger“ als grundsätzlich illegitim betrachtet. Die öffentliche Hand erscheint in dieser Sicht als Parasit des vorgängigen privaten Eigentums. Es ist von staatlicher Gier die Rede, Neid oder gar „Kleptokratie“ – so der Philosoph Peter Sloterdijk noch im Jahr 2009. Zwar sind Zeitgeist, ökonomische Debatte und Krisenrealität über diesen unseligen Moment der Ideologie hinweggefegt, doch die Grundeinstellung überdauert in Artikeln wie „Der Sparer und der gierige Staat“ oder „Die Enteignung“ (diese Zeitung am 9.September).
Man möge sie überdenken. Der private Wohlstand „der Bürger“ ist in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren unaufhörlich gestiegen. Nach den Zahlen des neuen Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung hat sich in diesem Zeitraum das Nettovermögen der privaten Haushalte mehr als verdoppelt, auf über 10 Billionen Euro. Wohlgemerkt, nicht jeder fällt in diese Kategorie „der Bürger“, deren Taschen vor dem Zugriff des „gierigen Staates“ geschützt werden müssten. Der meisten Bürger Taschen sind leer. Die reichsten 10 Prozent unserer Gesellschaft besitzen zwei Drittel des gesamten Vermögens. Das reichste Tausendstel, also etwa 82.000 Menschen, besitzen nach Zahlen des DIW ein Netto-Vermögen von über 1.600 Milliarden Euro.
Kann es ihnen zugemutet werden, einen größeren Beitrag zur Finanzierung des krisengeplagten Gemeinwesens zu leisten? Die Frage mutet angesichts dieser Entwicklungen bizarr an.
Und sie ist falsch herum gestellt. In der heutigen Situation ist eher das asymmetrische Verhältnis von privatem Reichtum und öffentlicher Verschuldung begründungsbedürftig. Demokratische Gesellschaften entscheiden über Grundsätze, Regeln und Details ihrer Wirtschafts- und Eigentumsordnung. Ihre Grenze finden solche
demokratischen Prozesse im Verfassungsrecht, das diesbezüglich einen weiten Spielraum lässt. Privater Reichtum ist diesen Prozessen nicht vorgeordnet. Seine gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Rolle wird in ihnen bestimmt. Es gab und gibt gute Gründe, aus denen eine soziale Marktwirtschaft dem privaten Gewinnstreben eine wichtige Rolle zuweist. Das bleibt richtig. Es zeichnet sich aber ab, dass angesichts der Entwicklung große Teile der Gesellschaft privaten Reichtum und öffentliche Finanzierung in ein neues Verhältnis bringen wollen. Das ist so legal wie legitim. Ressentiment-geladene Barrikadenrhetorik oder die Androhung von Steuer- und Kapitalflucht sind schlicht undemokratisch.
Hoher privater Wohlstand wird oft über Leistung legitimiert, in vielen Fällen zu Recht. Ein gewisses Maß an materieller Ungleichheit ist als Ergebnis unterschiedlicher Leistung legitim. Doch gerade der meritokratische Grundkonsens unserer Gesellschaft wird durch die derzeitige Verteilung verletzt. Denn das Ausmaß materieller Unterschiede ist durch Leistung kaum mehr zu rechtfertigen. Zu viele Anteile des Vermögensaufbaus sind über Zufälle, Erbschaften, Spekulationen erfolgt; zu viel Finanzerfolg bleibt ohne Bezug zu relevanter gesellschaftlicher Leistung. Die Leistungen vieler Arbeitnehmer hingegen, vom Niedriglohnbereich bis in die breite Mittelschicht, werden immer schlechter belohnt. Die zornige Rede, Leistung würde sich für die oberen Schichten in Deutschland bald nicht mehr lohnen, ist angesichts der Reichtumsentwicklung absurd.
Materielle Ungleichheit ist über die Übertragungsriemen von Wettbewerb und Motivation in gewissem Maß förderlich für den Wohlstand aller. Doch extreme Ungleichheit ist volkswirtschaftlich unvernünftig. Ein großer Teil der Bevölkerung wird in Verschuldung getrieben, ein kleinerer legt immer mehr Geld immer riskanter an. Das Resultat heißt Finanzkrise.
Es geht also nicht um Neid oder die „Gier des Staates“ sondern um das beste Interesse Aller. Es ist ja nicht nur die Rettungspolitik, von der die Vermögenden in dieser Gesellschaft profitieren. Sie profitieren von öffentlich finanzierten Institutionen, einer gut ausgebildeten Bevölkerung, von sozialer Balance, funktionierendem Umweltschutz, Verkehrsinfrastruktur, einer gesunden Demokratie. Wo wären viele Vermögen ohne einen handlungsfähigen Staat heute? Reichtum ist niemals vollkommen selbstgemacht. Die Voraussetzungen für Vermögensaufbau werden öffentlich finanziert. Seit langer Zeit schon decken aber die Einnahmen des Staates die Ausgaben nicht mehr. Ohne Zweifel gehören auch Subventionsabbau, Entschlackung aufgeblähter Behörden, Abbau öffentlicher Verschwendung auf die Agenda. Doch die Gegner des „aggressiven Steuerstaates“ überschätzen die Spielräume für diese Seite der Konsolidierung. Wegen der strukturellen Unterfinanzierung des Gemeinwesens werden Haushalte auch in Zeiten „sprudelnder Steuerquellen“ nicht ausgeglichen- wie man dieser Tage sieht. Die öffentliche Handlungsfähigkeit und die Grundlagen des Gemeinwesens sind bedroht. Es ist im langfristigen Interesse auch der in unserer Gesellschaft Erfolgreichen, diese Grundlagen zu erhalten.
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