Boring Banking – Good Banking: Warum wir einfache Regeln brauchen

Sehr geehrter Anshu Jain,
sehr geehrter Andy Haldane
sehr geehrter Andreas Dombret
lieber Gerhard,
Liebe Freundinnen und Freunde,
meine Damen und Herren,

1 Begrüßung
ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserer Veran-staltung boring banking hier in Frankfurt am Main. Ich freue mich sehr, dass so hochkarätige Referentinnen und Referenten hier sind und un-sere Diskussion heute durch ihre Fachkenntnis und Erfahrung bereichern werden. Ich begrüße auch sehr herzlich die Zuhörerinnen und Zuhörer, denen ich auch eine spannende Veranstaltung wünsche.
Ich mache die Begrüßung zu dieser Anhörung, werde aber wegen Terminen Brüssel nicht die ganze Zeit anwesend sein können. Ich bitte um Nachsicht.
2 Deregulierung
Wir haben in den vergangenen gut 30 Jahren eine zunehmende Liberalisierung der Finanzmärkte erlebt. Die theoretischen Grundlagen dafür hat Milton Friedman bereits in den 1950er Jahren gelegt.
Ronald Reagan in den USA und Margret Thatcher haben diese Ideen dann in reale Politik umgesetzt, wobei sie nur die bekanntesten derjenigen Politiker sind, die durch Deregulierung den Staat immer weiter zurückgedrängt haben.
Das Versprechen der Finanzmarktliberalisierung lautete:
Je mehr Akteure ungestört durch Beschränkungen auf möglichst großen Märk-ten handeln können, desto eher werden Abweichungen vom wahren Wert eines Finanzprodukts erkannt und diese Abweichung korrigiert. Es war das Versprechen von mehr Rationalität.
Die Apologeten der politisch daraus folgenden Deregulierung müssten also heute jubeln über die astronomischen Summen, die allein im Derivatehandel täglich um den Globus geschickt werden.
In Folge der Deregulierung sollten die Preise für Aktien, Derivate oder Währungen die reale Kombination aus Angebot und Nachfrage widerspiegeln. Eine stabilisierende Spekulation sollte zu einem Zustand des Gleichgewichts führen. Das war die Idee hinter der Finanzmarktliberalisierung.
Durch die Finanzmarktliberalisierung sollte der Markt seine volle Kraft entfalten können. Als Ergebnis sollten wir mehr Wohlstand und mehr Wachstum verbuchen.
Wir können heute feststellen, dass die Wachstumsraten in den westlichen Ländern seit 30 Jahren zurückgehen, während die Verschuldung des Finanzsektors in Folge immer lockerer Regeln mit mehr zugenommen hat.
Ein IWF-Paper aus dem Juni 2012 kam nach empirischer Analyse zu dem Schluss, dass höhere private Verschuldung sogar wachstumsschädlich sein kann, sobald ein Level von 100% des Bruttoinlandsprodukts überschritten wurde. Eine schlechte Nachricht etwa für den überschuldeten niederländischen Immobilienmarkt.
Ein wachsendes Finanzsystem in Schwellenländern geht häufig mit höherem Wirtschaftswachstum einher. Allein, deren Finanzmärkte sind häufig extrem reguliert – siehe China. Und unabhängig davon kommt zumindest irgendwann der Punkt, an dem ein weiter wachsendes Finanzsystem eher das Wachstum bremst.
Lange wurde so getan, als ob menschliches Verhalten auf den Finanzmärkten keine Rolle spielen würde. Also weder Herdentrieb noch Massenpanik irgendeine Bedeutung hätten.
Die Realität überführt die stabilisierende Spekulation als theoriegeleitetes Wunschkonstrukt, das mit dem realen Verhalten der Akteure nicht viel zu tun hat.
Schaut man auf 30 Jahre Finanzmarktliberalisierung zurück, dann ist die Krise, die uns aktuell beschäftigt, bei weitem nicht die erste:
-der Sparkassencrash in den USA,
-die Japan-Krise,
-der Crash Russlands und vieler asiatischer Staaten in den 1990er Jahren oder
-der phänomenale Niedergang der New Economy zu Beginn dieses
Jahrtausends.
Auch andere Beobachtungen hätten uns schon früher an der Weisheit der unsichtbaren Hand zweifeln lassen sollen:
Noch vor wenigen Jahren lagen die Kreditzinsen für deutsche und griechische Staatsanleihen nah beieinander – obwohl schon damals erkennbar war, dass Griechenland finanziell in keinem soliden Zustand ist.

Umgekehrt sind die heute real negativen Zinsen auf deutsche Staatsanleihen auch nicht anders als durch Herdentrieb erklärbar.
Noch ein Beispiel: Kurz vor Beginn der aktuellen Krise lagen die Risikoprämien auf Kreditausfallversicherungen auf einem Rekordtief.
-Hätte die stabilisierende Spekulation nicht dazu führen müssen, dass Krisen als Zeichen eines fundamentalen Missverhältnisses von Angebot und Nachfrage ausgeschlossen sind?
-Hätte nicht die Weisheit der Marktakteure weltweit dazu führen müssen, dass Blasen nicht platzen sondern gar nicht erst entstehen?
Offensichtlich hat die Selbstregulierung nicht funktioniert – und offensichtlich ist das Verhalten der Marktakteure bei weitem nicht so rational, wie in den Modellen unterstellt.
3 Re-Regulierung
Nach 2009 setzen die G20-Staaten verstärkt auf Re-Regulierung. In den USA und in Europa haben die Parlamente eine Vielzahl von Gesetzen beschlossen, von der Regulierung von Boni, über das Verbot bestimmter Leerverkäufe und die in verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der Europas auf den Weg gebrachte Finanztransaktionssteuer bis hin zu den gewaltigen Regelwerken Dodd-Frank-Act und Basel III.
Aber ist es auch die richtige Re-Regulierung?
Der Frage wollen wir uns heute stellen. Verlangen komplexe Märkte wie die Finanzmärkte wirklich ausschließlich nach komplexen Regeln? Wir haben unsere Zweifel.
Das drückt der Titel dieser Anhörung aus. Boring Banking. Ist langweilige Banking gutes Banking?
In meiner Jugend, mein Großvater mütterlicherseits war Bankdirektor, sprach man noch vom Bankbeamten. Und als ich 2009 meinen Bruder, einen gelernten Bankkaufmann, befragte, wie es zu solchen Entwicklungen wie bei der HSH-Nordbank kommen könne, da antwortete er: „Das sind keine Banker, das sind Finanzmathematiker. Ich bin ein gelernter Banker – und wir machen so etwas nicht.“
Wenn also heute nicht nur bei der Deutschen Bank von einem Kulturwandel gesprochen wird – geht es dann um eine Kultur der Langeweile?
Und was hat Regulierung damit zu tun?
Nehmen wir das nach Basel benannte Regelwerke.
-Basel I kam noch mit 30 Seiten Text aus. Die Regeln waren einfach und leicht handhabbar.
-Basel II war mit gut 340 Seiten schon mehr als elf Mal so umfangreich wie Basel I. Jetzt konnten die Banken eigene Risikomodelle verwenden, um ihren Kapitalbedarf zu berechnen. Die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen sollten möglichst mit der bank-internen Kapitalsteuerung gleichgesetzt werden. Frei nach dem Motto: Die Bank weiß sicher am besten, wo sie wieviel Kapital benötigt.
-Basel III kommt nun schon auf 616 Seiten – fast das 22fache von Basel I. Zu den sehr komplexen Anforderungen aus Basel II kommen neue Anforderungen hinzu. Tausende Ausfallwahr-scheinlichkeiten und Korrelationen müssen kalkuliert werden. Die Inter-dependenzen sind enorm und letztlich unüberschaubar. Die steigende Kom-plexität bei der Risikoerfassung hat Einfluss auf das Eigenkapital und damit auf die Robustheit von Finanzinstituten. Basel III folgt der Maxime: Viel hilft viel.
Diesem internationalen Trend steht auch die US-Gesetzgebung um nichts nach.
-Der Dodd-Frank-Act hat etwa 30.000 Seiten.
-Auch die EU kann mithalten: Die Regu-lierungen mit allen ihren technischen Vorschriften kommen auf 60.000 Sei-ten.
Es wird eine Präzision suggeriert, die unerfüllbar ist – für die Banken selbst, für die Aufseher und die Anteilseigner.
Wer von uns möchte angesichts solcher Regel-konvolute im Risikomanagement einer Bank sit-zen oder im Büro einer Aufsichtsbehörde?
4 Einfache Regeln – leverage ratio
Weltweit werden aber nicht nur sehr komplizierte Regeln diskutiert sondern auch einfache
Grundsätze:
-die Verschuldung einer Bank sollte begrenzt sein.
-Diese Begrenzung sollte missbrauchsfest und extern festgesetzt sein.
Es geht um die leverage ratio, die Schuldenbremse für Banken. Es ist eine einfache Regel, die das Eigenkapital mit den Aktiva einer Bank direkt ins Verhältnis setzt.
Wir haben sie kürzlich als Fraktion in den Deut-schen Bundestag eingebracht und fordern mittelfristig 3 %, langfristig eine deutliche Erhöhung. In den USA werden aktuell in der brown-vitter bill parteiübergreifend 15 % gefordert. Auch wenn die Zahlen nicht direkt vergleichbar sind, zeigt die US-Initiative doch, wohin die Reise gehen soll. Auch in Deutschland gibt es prominente Unterstützer einer leverage ratio von 20 bis 25 %, was etwa der Eigenkapitalquote in der deutschen Industrie entspricht.
Warum brauchen wir einfache Regeln?
Nach den Modellen von Goldman-Sachs trat mit der Finanzkrise ein sogenanntes 25-Sigma-Ereignis ein. Ein 3-Sigma Ereignis passiert alle 2 Jahre, ein 5-Sigma-Ereignis einmal seit der Eiszeit und ein 8-Sigma-Ereignis einmal seit dem Urknall.
Was sagt uns das über die Qualität der Modelle von Goldman-Sachs? Sie sind nutzlos, weil sie uns in einer Scheinsicherheit wiegen. Wenn sie von Regulatoren als alleiniges Maß der Kapital-ausstattung im Finanzsystem akzeptiert werden, sind sie sogar hochgefährlich!
Heute bauen die Risikomodelle der Banken auf Ereignissen der Vergangenheit auf. Sie versuchen, einen Trend zu modellieren und müssen für die Zukunft Annahmen treffen. Dabei geht es vor allem um die künftige Preisentwicklung und die Ausfallwahrscheinlichkeit.
Wie wahrscheinlich solche Ereignisse eintreten, darüber kann die Vergangenheit nur unvollständige Angaben machen. Entsprechend sind dann die Aussagen des Modells von geringem Wert. Herdentrieb, Massenpanik und Interdependenzen lassen sich eben kaum modellieren.
In einer Krise ist es nicht wichtig, was mein Modell gestern gesagt hat, sondern wie viel Kapital tatsächlich im Finanzsystem vorhanden ist, um unerwartete Verluste abzufedern.
Häufig beziehen sich diese Modelle auch nur auf kleine Märkte. Entsprechend klein ist die Da-tenbasis und entsprechend groß ist die Unsicherheit, da die Bedeutung der Annahmen steigt. Einfache Investment-Strategien beispielsweise können komplexen Modellen deutlich überlegen sein. Keine gute Nachricht für Fondsmanager!
In einem komplexen Umfeld, wie es die Finanzmärkte nun einmal sind, sind komplexe Entscheidungsgrundlagen nicht besser als einfache.
Mr. Haldane, Sie haben in Ihrem Vortrag in Jackson Hole die Sache auf den Punkt gebracht: „In financial regulation, less may be more.“
Einfache Regeln sorgen für mehr Sicherheit.
Ginge es nur um das Risiko für das Geld der Akteure – wie im Casino – dann könnten sich alle beruhigt zurück lehnen. Das ist aber nicht der Fall. Es besteht eine implizite Staatshaftung.
Und trotzdem bleibt es Banken erlaubt, ihren regulatorischen Eigenkapitalbedarf und damit ihre Krisenfestigkeit mit selbstgewählten Risikomodellen festzulegen. Das wäre so, wie wenn sich jeder Autofahrer aufgrund seiner eigenen Erfahrungen selbst eine Promillegrenze setzen würde.
Damit mich hier niemand falsch versteht: natürlich brauchen Banken und Investoren Modelle, auf die sie bei ihren Entscheidung zurückgreifen können.
Was aber ist, wenn diese Modelle vielfach denen von Lottospielern gleichen. Die verwenden ja ebenfalls häufig ein „System“, wenn sie ihre Kreuzchen machen.
Während aber der Verlust des Lottospielers höchstens in den privaten Ruin führt, kann der Verlust einer Bank ein ganzes System gefährden.
Die Pleite von Lehman Brothers ist da nur das prominenteste Beispiel. Der Preisverfall ganzer Asset-Klassen hat zu Beginn der Finanzkrise einen fatalen Strudel in Gang gesetzt. Schlussendlich wurden in Europa und den USA Banken und Versicherungen mit Milliarden an Steuergeldern gestützt.
Und warum? Weil die Regulierung zugelassen hat, dass Risikomodelle von zweifelhafter Qualität verwendet wurden und weil
niemand für den Fall eines Crashs vorgesorgt hat. Er schien ja auch völlig unwahrscheinlich.
Es ist sinnvoll, um ein Bild von Andrew Haldane zu bemühen, Modelle zu haben, die den Flug eines Frisbee immer besser vorher sagen können. Am Ende kommt es aber darauf an, dass der Frisbee gefangen wird. Das kann ein Hund, der von solchen Modellen keine Ahnung hat, oft besser als der Physiker, der es rechnet.
Unser Border Collie ist die levarage ratio, die Schuldenbremse für Banken.
5 Schluss
Die vielen Gesetzesinitiativen in den USA und in Europa folgen viel zu häufig dem Prinzip: kom-plexe Probleme bedürfen einer komplexen Regulierung.
Ich glaube nicht, dass diese Annahme stimmt. Ich glaube, dass uns die Finanzmarktkrise unter anderem dies gelehrt hat:
Einfache und anwendbare Regeln, mit wenig Möglichkeiten zum Missbrauch, die von Regulierern, Regulierten und Anteilseignern verstanden werden, sind zehntausenden Seiten Regulierungstext überlegen.
Ziel jeder Regulierung darf nicht sein, sich der Komplexität der Finanzwelt anzupassen. Ziel muss sein, Finanzmärkte so sicher zu machen, dass mehr Nutzen als Schaden von ihnen ausgeht.
Wenn Finanzmärkte dafür weniger komplex – und damit vielleicht langweiliger werden – dann ist das zu begrüßen.
Und damit bin ich bei dem Titel unserer heutigen Veranstaltung: boring banking. Vereinfacht gesagt ist das unser Ziel.
Ich hoffe, der heutige Tag wird keineswegs langweilig – im Gegenteil: ich wünsche uns allen eine anregende Debatte.

 

Regulierung, Banken, Finanzmärkte

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld