Alles auf die rote Karte

Jürgen Trittin will Finanzminister werden – und er hat einen Plan, wie es ihm doch noch gelingen könnte

VON MARIAM LAU

Anshu Jain hat nicht viel Zeit für die Politik, aber einmal im Mai hat er sie sich genommen. Der Chef der Deutschen Bank sitzt in der ersten Reihe des kleinen, aber

edlen katholischen Hauses am Dom in Frankfurt und hört mit gesenktem Kopf einem Redner zu, der ihm die Leviten liest. „Mit unseren Banken ist es wie mit einem Autofahrer, der seine Promillegrenze immer selber bestimmt“, sagt der Mann am Pult. Immer wieder nickt Jain schuldbewusst und erklärt anschließend: „Wir Banker haben verstanden.“

Gleich neben Jain sitzt Jörg Asmussen aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank und lauscht dem Vortrag ebenso konzentriert. Der Mann, von dem sich Deutschlands Topmanager zur Schnecke machen lassen, ist Jürgen Trittin. Ausgerechnet der prominenteste Linke, den die Grünen haben, ein ehemaliger Straßenkämpfer und KB-Funktionär, kritisiert hier im Herzen des Finanzkapitalismus die gefährliche Spekulation – und die Banker können nicht genug davon kriegen.

Er könnte einmal wichtig für sie werden. Selten hat sich ein Politiker so intensiv auf ein Amt vorbereitet wie Jürgen Trittin auf das des Finanzministers. Seit Jahren paukt er die Details der Krise, trifft den EZB-Präsidenten und die IWF-Chefin und geht in Talkshows die Fehler der Merkeischen Austeritätspolitik durch. Dass er tatsächlich Minister wird, scheint im Moment unwahrscheinlich. Denn Trittins Lieblingskoalition Rot-Grün wird es kaum geben. Zu schwach sind die Sozialdemokraten, zu stabil die Kanzlerin.

Jetzt bleiben ihm zwei Möglichkeiten. Die erste, Schwarz-Grün, wäre eine Sensation in der Geschichte der Republik: Rheinischer Kapitalismus und Studentenbewegung unter einem Dach! Aber Schwarz-Grün ist Jürgen Trittin zuwider, ein Dementi seiner ganzen bisherigen politischen Vita.

Die zweite, die rot-rot-grüne Koalition, wäre mehr nach seinem Herzen. Genau sie meint Jürgen Trittin, wenn er davon spricht, die Grünen wollten einen „echten Umbau der Gesellschaft, nicht nur ein paar Reparaturen“. Schwarz-Grün wäre ein Umbruch, aber Rot-Rot-Grün würde in Deutschland ein Beben auslösen. Für Jain und Asmussen wäre Trittin dann wieder genau der, vor dem sie einander immer gewarnt haben: der rote Politkommissar, der einfach nur lange nicht gesagt hat, wie links er wirklich ist. Er legt sich da nicht gern fest.

An der Harvard Kennedy School wollen sie es aber ganz genau wissen. Ben Bernanke war schon hier, Wolfgang Schäuble war hier – das ist die Liga, in der auch Jürgen Trittin spielen will. Es ist im Mai dieses Jahres, im Starr Auditorium schauen die Studenten — angehende deutsche Spitzenkräfte in UN, EZB oder Weltbank aus dem keilförmigen Halbkreis auf ihre Gäste hinunter und nehmen sie auseinander; höflich, sportlich, rücksichtslos.

Der Gast spricht über den „Euro und seine geostrategische Dimension“. Keine Europa-Emphase, kein Friedensgesumse, sondern kühles, planerisches Durchblickertum – typisch Trittin.

In Harvard brauchen sie ganze drei Minuten, um die Schwachstelle der Trittinschen Performance zu finden. „Sie trauen sich zwar, zu sagen, dass es eine Bankenkrise war und nicht nur eine Schuldenkrise der Südländer“, sagt der Moderator lächelnd. „Aber an die Konsequenz: einen Schuldenerlass – an die wagen Sie sich nicht, weil das in Deutschland nicht gut ankommt.“ Touche: Aus seiner Forderung nach einem Schuldentilgungsfonds hat Trittin zwar kein Geheimnis gemacht, genauso wenig wie aus seinen
Steuerplänen. Aber die Härten, die daraus für die Deutschen folgen, kommen in seinen Reden nicht vor. Ein exzellentes Beispiel für die Trittinsche Selbstvernebelungstaktik.

Auch sein Besuch beim sagenumwobenen Bilderberg, dem exklusiven Zirkel der Macht aus Hochfinanz und Politik, 2012 im amerikanischen Chantilly, hat alle Beobachter verwirrt. Schon die Tatsache, dass Trittin dort überhaupt aufgetreten ist, löste unter Grünen-Anhängern eine Welle der Empörung aus. „Bilderberg, das ist das Schweinesystem pur, was hatte der Jürgen da verloren!“, schrieb ein Blogger entrüstet. Noch schlimmer wurde es für die Linken, als durchsickerte, was der Jürgen da gesagt hatte. Kein Geringerer als Roland Koch erzählte anschließend, Trittin habe dort eloquent die Position der Kanzlerin erklärt – um sich anschließend davon zu distanzieren, aber immerhin. Mit Angela Merkel verbindet Trittin etwas. Beide glauben, sie seien die Verkörperung der Weltvernunft und brauchten eigentlich keine Ansichten oder Moral. Warum sollten zwei so unideologische Menschen nicht miteinander koalieren können?

Auf der Zugfahrt von Boston nach New York im Frühsommer gibt er die Antwort, mit Blick auf die Ostküste, die Industriebrachen, die Skyline von Manhattan. „Merkels Kabinett,, die angeblich konservative Regierung, ist einfach nicht seriös“, lautet die Kurzfassung. Halbherzige Energiewende, torpedierte Bankenregulierung, ein Betreuungsgeld, an das die Kanzlerin selbst nicht glaubt, Rüstungsexporte an Diktaturen – „wie sollen wir da koalieren? Wie soll ich mit einem Alexander Dobrindt koalieren?“

Früher hätte er einen wie den CSU-Generalsekretär Dobrindt mit seinem Starkdeutsch noch als „Skinhead“ bezeichnet. Heute wird der Spieß umgedreht: Die anderen, die „Bürgerlichen“ sind in Wahrheit die Chaoten, die Unseriösen, die das Geld der Leute verjubeln. Trittin, der vermeintliche Seminarmarxist, der nichts Richtiges gelernt hat, ist einer der erfahrensten deutschen Politiker: Als niedersächsischer Fraktionschef, später als Bundes- und Europaminister hat er von Rechts- bis Haushaltspolitik so ziemlich alles gemacht; er war für Integration zuständig, als Hunderttausende von Flüchtlingen kamen, und hat sich auf der Straße anspucken lassen, als er Unterbringungen für sie suchte. Als Umweltminister hat er den Atomkonsens mit den Betreibern ausgehandelt, wofür ihm Grüne aus seiner Heimat haufenweise die Parteibücher vor die Füße warfen.

In Washington kann man sehen, wie Jürgen Trittin sich neu erfunden hat. Er ist hier ein Kuriosum, es gibt ja weder Linke noch Grüne von Bedeutung. Bei einem Mittagessen in der deutschen Botschaft werfen ihm denn auch manche verstohlene B licke zu. „I heard, heisa bully“, flüstert ein Lobbyist seinem Nachbarn zu – aber der linke „Rüpel“ legt ein überraschendes Bekenntnis ab: Er sei, ruft Trittin, ein geborener Anhänger des Freihandels.

Trittins Selbstdarstellung klingt in letzter Zeit kaufmännischer. Sein Großvater mütterlicherseits war Bankdirektor in Delmenhorst, der andere Direktor der Deutschen Linoleum. Sein Vater war Prokurist bei den Bremer Tauwerken und kam in

der Mittagspause nach Hause, um mit der Familie zu essen; man hört während der Erzählung praktisch die Löffel am Meissener Porzellan klingeln. Sein Bruder ist Banker. Wurde in Bremerhaven ein neues Schiff zu Wasser gelassen, zog die Klasse zum Stapellauf – soll heißen, das Glück der Trittins war aufs Engste mit dem Wohlergehen der Hanse verknüpft. Jürgen Trittins Leben war immer beides: Buddenbrooks und Republik Freies Wendland.

Er positioniert sich jetzt ähnlich wie Sahra Wagenknecht: Linke drohen nicht mehr mit Verstaatlichung, das kommt nicht gut an, sondern verteidigen treuherzig die freie Marktwirtschaft, ehrliche Kaufleute gegen das Kasino. Die Linke, so die Behauptung, hat den reineren Kapitalismus, in dem der Schuldner haftet, nicht die Gemeinschaft. Trittins Projekt einer Neuerfindung der Linken zählt darauf, dass der Kapitalismus seit Jahren keine gute Presse mehr hat.
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Wenn es in sechs Wochen für Rot-Grün nicht reicht, braucht seine Partei eine Alternative. Es gibt zwei Möglichkeiten. Ein Bündnis mit der Union könnte für das zentrale Projekt der Grünen, die Energiewende, mehr versprechen als das mit der Kohle-Partei SPD. Und den Rettungspaketen der schwarz-gelben Koalition hat Trittin ausnahmslos zugestimmt und eben nicht Fundamentalopposition betrieben — genau das hat ja viele Skeptiker von seiner Eignung für das Amt des Finanzministers überzeugt. Er war es auch, der seiner Partei die Zustimmung zum schwarz-gelben Atomausstieg abrang. Aber Schwarz-Grün will er nicht, die Partei will es auch nicht.

Jürgen Trittin hat einen Plan, der über den 23. September hinausreicht. Er spricht nicht offen darüber, aber seine Äußerungen aus der letzten Zeit sind kaum anders zu verstehen. Im 150. Jahr einer siechen Sozialdemokratie wäre ein rot-rot-grünes Bündnis, „R2G“, wie es auch genannt wird, für ihn – und die Republik- ein Coup, vor dem der Atomausstieg verblassen würde: die Wiedervereinigung und ökologische Modernisierung einer Linken, die über kurz oder lang sowohl die SPD als auch die noch marodere Linkspartei überflüssig macht. Eine neue Linke, die rechnen kann, die frecher, schlanker und kosmopolitischer ist als die SPD und verantwortungsbewusster als Gysis Truppe. Dass ein Mann mit Ambitionen auf das Amt des Finanzministers ausgerechnet mit einem Partner koalieren will, dem der Taschenrechner abhandengekommen ist, scheint angesichts dieser Perspektive nebensächlich. Trittins Hauptanliegen ist die Bank enregulierung, und die wollen die Linken auch.

Natürlich wird er notfalls Verhandlungen mit der Kanzlerin führen, aber nur ins Scheitern. Dann wird er SPD und Linke an den Tisch bitten, wenn nicht am 23. September, dann nach dem Abschied der Kanzlerin.

(c) Zeit-Verlag, Hamburg

 

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